Die beiden jungen Männer in ihren schwarzen T-Shirts sind begeistert. Zum ersten Mal haben sie gerade Jensen Huang live erlebt. „Er ist so inspirierend. Es ist einfach Wahnsinn, was der in den letzten Jahren erreicht hat“, sagt einer von ihnen, der sich als Dan vorstellt. Der andere nickt nur und schaut sich in der großen Sportarena von Taipeh um. Dort hat der Chef des amerikanischen Grafikkartenherstellers Nvidia gerade seine neuesten Ideen und Produkte für die Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz vorgestellt.
Huang hat den taiwanischen Traum vorgelebt. Geboren in der Küstenstadt Tainan, zog er aus in die weite Welt und führt heute das wichtigste Unternehmen für den Siegeszug der Künstlichen Intelligenz (KI). Mit seinen Prozessoren hat Nvidia etwa die Technik hinter ChatGPT ermöglicht, der KI-basierten Sprach- und Wissenssoftware. Für viele, die an diesem Abend Anfang Juni in die Sportarena von Taipeh gekommen sind, ist Huang ein leuchtendes Vorbild.
Dan und sein Kumpel sind Anfang 20, studieren beide an der National Taiwan University und wissen schon genau, wo sie danach hinwollen: in die Chipbranche natürlich. „Mit der Künstlichen Intelligenz wird diese Industrie einfach noch mal so viel größer werden. Es ist unglaublich spannend, was da alles gerade passiert“, sagt Dan und streicht seine schwarzen gescheitelten Haare nach hinten. „Es wird großartig.“ Und sein Kumpel sagt nur: „O ja.“
„Es bringt doch nichts, jetzt Angst zu haben“
Haben sie keine Angst vor China? Beide müssen kurz überlegen und schauen sich verlegen an. „Na ja“, sagt Dan schließlich. „Es bringt doch nichts, jetzt Angst zu haben. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass China wirklich in Taiwan einmarschieren würde.“
Es ist ein seltsamer Gegensatz. Die Weltpolitik blickt mit wachsender Sorge nach Taiwan, wo China immer unverhohlener seine Ansprüche auf die autonom und demokratisch regierte Insel geltend macht. Zur Amtseinführung des frisch gewählten, dem Westen zugewandten Präsidenten Lai Ching-te demonstrierte die kommunistische Führung in Peking mit Kriegsschiffen und Kampfflugzeugen mal wieder Stärke. Doch in Taiwans Hauptstadt Taipeh, rund um die Computermesse Computex, wurde in der vergangenen Woche die Zukunft gefeiert wie kaum sonst irgendwo. Alle Zeichen stehen auf Fortschritt, von Kriegsangst keine Spur.
Konzerne wie Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC ) und Foxconn wurden einst groß als Auftragsproduzenten im Dienste der internationalen Tech-Unternehmen wie Apple, Qualcomm und Nvidia. Längst aber haben sie mit bestens ausgebildetem Personal und kapitalintensiven Hochleistungsfabriken Taiwan nicht nur zur unverzichtbaren Werkbank, sondern auch zum Forschungslabor der globalen Hochtechnologie gemacht.
Kaum ein modernes Gerät in der Welt kommt heute ohne Technik aus Taiwan aus, dem kleinen Eiland vor der Ostküste von China, das nicht größer ist als Baden-Württemberg. In der Produktion von Mikrochips, die speziell für Künstliche Intelligenz ausgerichtet sind, ist TSMC seinen Wettbewerbern weit enteilt.
Technologie aus Taiwan ist überall
„Ihr habt die weltweite Infrastruktur für die Künstliche Intelligenz aufgebaut“, rief Huang seinen begeisterten Zuhörern in der Sportarena zu. „Und wir werden sie auch in Zukunft weiter zusammen mit euch entwickeln.“ Alle internationalen Konzerne, die im Geschäft um KI mitmischen wollen, sind auf die Computex-Messe nach Taipeh gekommen. Immer wieder brandet Applaus auf, wenn Lisa Su von AMD, Pat Gelsinger von Intel, Christiano Amon von Qualcomm oder eben Jensen Huang auf einer der Bühnen einen ihrer neuesten Chips und Prozessoren ins Scheinwerferlicht halten. In allen ist Technologie aus Taiwan verbaut.
Die Exportzahlen der taiwanischen Halbleiterindustrie schnellten zuletzt rasant nach oben. Um ganze 121 Prozent stieg ihre Ausfuhr in den ersten vier Monaten des Jahres gegenüber dem Vorjahreszeitraum, wie Taiwans Statistikbehörde mitteilt. Die gesamte Wirtschaft des Landes wuchs im gleichen Zeitraum um 6,5 Prozent. Für das Gesamtjahr rechnen die Statistiker mit einer Verdreifachung des Wirtschaftswachstums auf 3,9 Prozent.
Spielt die wachsende Kriegsgefahr in der Taiwanstraße, der Meerenge zwischen China und Taiwan, für die Wirtschaft des Landes gar keine Rolle?
„Doch“, sagt Chung-Ying Lee, Ökonomieprofessor an der National Taiwan University. Man müsse nur genauer hinschauen. Die Halbleiterindustrie laufe zwar großartig. Aber jenseits davon hinterließen die Spannungen mit China in Taiwans Wirtschaft bereits deutliche Spuren.
Es geht auch um die Ananas
Peking dachte sich zuletzt immer wieder neue Handelsbeschränkungen für Obst aus Taiwan aus. Vor allem mit dem Importstopp von Ananas vor drei Jahren traf die kommunistische Führung Taiwans Landwirtschaft hart, weil zuvor fast alle taiwanischen Export-Ananas nach China geliefert wurden.
Im Herbst setzte Peking auch Mangos auf die schwarze Liste. Angeblich waren in einigen Lieferungen Käfer gefunden worden, die den eigenen Anbau schädigen könnten. Die schwarze Liste umfasst inzwischen rund 2000 Produkte.
Auch Taiwans Tourismusbranche treffen chinesische Restriktionen. Das Regime in Peking hat zwar so gut wie alle Reisebeschränkungen aus der Corona-Pandemie längst wieder aufgehoben. Doch nach Taiwan dürfen die meisten Chinesen auch weiterhin nicht reisen. Dabei stellten sie vor der Pandemie mit rund 300.000 Touristen im Monat die wichtigste Kundschaft für die Hotel- und Vergnügungsbetriebe auf der Insel. Solche Tourismus-Blockaden gehören zum Standardrepertoire Pekings, wenn es darum geht, Länder in der Region politisch zu bestrafen.
Viele Industrien leiden unter Zöllen
Vor rund zwei Wochen legte Peking dann schon wieder nach. Für 134 Produkte aus Taiwan – von Batterien über TV-Kameras bis hin zu Fahrrädern – sollen zum 15. Juni bestehende Zollerleichterungen aufgehoben werden. Das dürfte die Produkte der taiwanischen Hersteller in ihrem wichtigsten Absatzmarkt deutlich verteuern.
„Die Unternehmen und Menschen, die in diesen Sektoren arbeiten, leiden schon jetzt stark unter den zunehmenden Spannungen mit China“, sagt Ökonom Lee. Viele der Unternehmen könnten ihre Verkäufe nicht so einfach nach Amerika umlenken wie die Halbleiterindustrie.
Lynn Song, Chefvolkswirt für Groß-China des niederländischen Finanzkonzerns ING, hat sich die jüngsten Exportdaten näher angeschaut. Während die Ausfuhr nach Amerika zuletzt stark stieg, ging der Export in den wichtigsten Auslandsmarkt Festland-China und Hongkong zurück.
Im April lag der Export Richtung Amerika fast 82 Prozent höher als vor einem Jahr, vor allem wegen der neuen KI-Chips. Richtung Festland-China und Hongkong sank der Export im gleichen Zeitraum um 11 Prozent. Vergleicht man die ersten vier Monate des Jahres mit denen des Vorjahres, beträgt das Plus Richtung Amerika 64 Prozent, das Minus Richtung Festland China und Hongkong dagegen 3,7 Prozent.
Song hält das weniger für einen Ausdruck von Chinas jüngster Wirtschaftsschwäche, schließlich habe sich der chinesische Import zuletzt wieder erholt. Der Rückgang im Taiwan-China-Handel sei hauptsächlich auf neue Handelsbarrieren zurückzuführen, sagt Song. China versuche zudem zunehmend, sich mit technologischen Produkten selbst zu versorgen.
Alles hängt an der KI-Nachfrage
Schon seit Längerem sei etwa ein Rückgang der Ausfuhr von optischen und Präzisionsinstrumenten von Taiwan nach China festzustellen. Im April verkauften die Hersteller solcher Geräte 33 Prozent weniger nach China als vor einem Jahr. Der Export von mineralischen Produkten gingen im gleichen Zeitraum um 28 Prozent zurück, der von elektronischen Bauteilen um fast 18 Prozent.
„Kurz gesagt sieht es so aus, als sei das Schicksal von Taiwans Exporten derzeit sehr eng an die Halbleiterverkäufe in die USA gekettet“, analysiert Song. „Die Wachstumsaussichten des Landes sind jetzt eng verwoben mit einem weiteren Nachfrageschub nach Künstlicher Intelligenz.“
Für Taiwans Wirtschaft seien das schlechte Nachrichten, findet Wirtschaftsprofessor Lee. Die Halbleiterindustrie sei eben nur eine von vielen Branchen des Landes. Nach Angaben der amerikanischen Handelskommission steuert sie rund 15 Prozent zum taiwanischen Bruttoinlandsprodukts bei. Lee fürchtet Arbeitslosigkeit und große Lohnunterschiede in der Bevölkerung, wenn nur diese Branche sich gut entwickle und alle anderen schlecht.
Das enorme Wachstum der taiwanischen Chipindustrie führt der Ökonom auf die Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und China zurück. Erstens führten die von den Vereinigten Staaten durchgesetzten Importbeschränkungen von moderner Chiptechnologie nach China dazu, dass die chinesischen Tech-Konzerne bei den neuesten Entwicklungen nicht mehr mithalten könnten. Zweitens griffen viele westliche Konzerne im Zuge einer Abkehr von China zunehmend zu den Produkten aus Taiwan.
Bröckelt der „Silizium-Schutzschild“?
Dass China selbst immer ein großer Abnehmer von Halbleitern aus Taiwan war, hatte der Branche den Beinamen „Silizium-Schutzschild“ eingebracht. Dahinter steckt der Gedanke, dass sowohl China als auch die USA einen Krieg um Taiwan verhindern oder vermeiden würden, solange beide Länder in hohem Maße abhängig von den dort produzierten Halbleitern sind.
Mancher Beobachter fürchtet nun, dass der Schutzschild bröckelt. Einerseits haben die Vereinigten Staaten, Japan und auch Deutschland mit milliardenschweren Subventionen TSMC dazu gebracht, eigene Fabriken in ihren Ländern aufzubauen. Auf der anderen Seite muss China sich angesichts der von Amerika initiierten Importbeschränkungen möglicherweise nach anderen Lieferanten umschauen. Intel-Chef Pat Gelsinger warnte auf der Computex, dass zu strikte Handelsbeschränkungen China nur dazu verleiten würden, eigene Hochleistungschips zu entwickeln.
Der Schaden für die Weltwirtschaft könnte 10 Billionen Dollar betragen, sollte es zum Krieg um Taiwan kommen. Das hat der Wirtschaftsdienst Bloomberg ermittelt. Nicht nur käme es zu Ausfällen in der taiwanischen Halbleiterproduktion. Auch würde mit der Taiwanstraße eine der wichtigsten Routen des globalen Seehandels unpassierbar.
Die von Bloomberg bezifferten möglichen Kosten betrügen 10 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der Welt. Der finanzielle Schaden wäre weit größer als die Belastungen durch den Ukrainekrieg, die Corona-Pandemie oder die globale Finanzkrise im Jahr 2008. Aufgrund dieser hohen Kosten, die auch China hart treffen würden, hält Ökonom Lee den Silizium-Schutzschild noch für intakt.
„Wenn es Krieg gibt…“
Der Idee, dass die TSMC-Fabriken im Ausland alsbald die Produktion in Taiwan ersetzen könnten und der Silizium-Schutzschild bröckele, trat der neue Verwaltungsratsvorsitzende des Unternehmens, C.C. Wei, auf der Hauptversammlung des Konzerns in dieser Woche entgegen. Er sei von vielen Kunden gefragt worden, ob das Unternehmen im Falle einer Eskalation die Lieferketten ändern könne, berichtete Wei. Eine komplette Verschiebung ins Ausland sei aber nicht realistisch. „80 bis 90 Prozent unserer Kapazitäten liegen in Taiwan“, sagte Wei.
Und dann redete doch noch einmal einer über Krieg in dieser Woche, in der doch alle nur den Fortschritt feierten. Er hoffe, dass die Führer beider Seiten und auf der ganzen Welt weise genug wären, einen Krieg gar nicht erst passieren zu lassen, sagte Wei: „Wenn es Krieg gibt, müssen wir uns noch über ganz andere Dinge Sorgen machen als über Halbleiter.“
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